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Manche wollen sich einfach nicht weiterentwickeln! Wirklich?

Manche wollen sich einfach nicht weiterentwickeln! Wirklich?!

Neulich las ich in einem Gastkommentar, dass es in Musikvereinen (anm. wie auch in Ensembles) immer auch Menschen gibt, die sich nicht weiterentwickeln wollen. Diese Aussage hat mich sofort stutzig gemacht und mich einmal meine letzten 20 Jahre reflektieren lassen.

Es gab in diesen Jahren durchaus zahlreiche Musiker, die den Anschein erweckten, dass es keine Weiterentwicklung gibt und geben soll, dass sie keine Möglichkeiten mehr haben sich zu verbessern, dass sie nicht mehr dazu lernen wollen. Teilweise wehrten sie sich sogar lautstark gegen geplante Verbesserungen. Der Klassiker ist wohl die Auswahl der Schwierigkeitsstufe bei Wertungsspielen oder Wettbewerben.

Allerdings war dies nach meiner Erfahrung, wie man in der Verkäufersprache sagen würde, immer nur ein Vorwand. Jeder einzelne konnte und wollte sich am Ende doch weiterentwickeln. Warum also zuerst der Widerstand?

1. "Raus aus der Comfortzone" ...
...ist für viele Menschen sehr anstrengend. Natürlich wehrt man sich instinktiv gegen diese Veränderungen. Stell dir einmal vor, du müsstest im Job jeden Tag etwas tun, was du noch nicht kennst, noch nicht kannst und erst lernen musst. Es gibt nur wenige Menschen die das wirklich gerne tun.

2. Angst das Gesicht zu verlieren
Du bist seit 30 Jahren 2. Hornist in einer B-Stufen Kapelle und hast deine Stimme meist grade so im Griff, dass es nicht negativ auffällt. Nun kommt ein Konzertprogramm auf dich zu, welches deutlich außerhalb der gewohnten Parameter ist. Die Gefahr sich zu blamieren steigt plötzlich enorm. Und wir alle haben in der Schule leider gelernt, dass Fehler falsch sind und man bestraft und ausgelacht wird.

3. Fehlende Vision
Was hat der einzelne Musiker davon, dass das Ensemble oder die Kapelle schwierigere Stücke spielt? In Wahrheit ist es doch so, dass die Hauptarbeit bei den schwächsten Musikern liegt und diese in der Regel keine oder kaum Anerkennung dafür bekommen, weil am Ende deren Leistung trotzdem wieder nur grade so ausreicht. Die schwierige Aufgabe ist, eine Ziel, eine Vision zu kreieren, der alle Musiker gerne folgen wollen. Ein gemeinsames Highlight auf das ALLE stolz sein können.

Was kannst du also tun?

1. Gestalte ein Umfeld, das es allen ermöglicht, sich langsam weiter zu entwickeln. Ich habe es so gelöst, dass ich für die größten Schritte kostenlosen Einzelunterricht, Teilproben, Gruppenproben und manchmal auch Theorie-Unterricht angeboten habe. Keiner soll das Gefühl haben mit dieser schwierigen Aufgabe allein gelassen zu werden. Ist das anstrengend? Oh ja! Hat es sich gelohnt? Und wie!

2. Nimm alle mit! Finde heraus wer Angst hat, wer Widerstand äußert oder auch nur spürt und nicht ausspricht. Das verlangt viel Empathie und ein Netzwerk. Kein Kapellmeister hat eine so gute Beziehung zu allen Musikern, dass ihm jeder offen ins Gesicht sagt, wenn er Angst hat. Aber Musiker reden untereinander und wenn du genug enge Verbündete hast kennst du alle Widerstände. Diese "Multiplikatoren" tragen übrigens auch deine Vision, deine Begeisterung weiter.

3. Ängste und Vorbehalte abbauen. Sprich mit allen, die Angst haben - einzeln! Niemals in der Gruppe. Sie dürfen keinesfalls bloßgestellt werden. Sie werden dir nicht immer sagen was genau das Problem ist. Wenn du aber ehrliches Interesse zeigst und die richtigen Fragen stellst wirst du es nah genug eingrenzen können. Und dann musst du ihnen einen Weg aus der Situation aufzeigen. Wie dieser Weg ausschaut kann nicht allgemein beantwortet werden. Es kann der Einzelunterricht oder Theoriekurs sein. Manchmal hilft eine Versetzung auf eine andere Stimme für dieses Projekt. Möglicherweise braucht der Musiker einen Stimmkollegen an dem er sich orientieren kann oder will nur mit jemandem über die Schwierigkeiten reden. Wieder ein Job für deine "Multiplikatoren" bei einem gemütlichen Bier.

4. Zeit geben! Entwicklungen passieren nicht über Nacht. Wenn du aber ein Ziel und einen realistischen Plan hast sind überraschende Ergebnisse möglich. Nimm dir lieber mehr Zeit als zu wenig.

5. Sei selbst ein Orientierungspunkt. Wenn alles rundherum neu wird, brauchen die Musiker eine Orientierung. Das heißt konkret: sei konsequent, halte die vereinbarten Proben, halte dich an die vereinbarten Zeiten, halte deine Versprechen... Klingt logisch? Glaub mir, ich habe furchtbare Verstöße gegen diese Regeln erlebt. Zusatzproben in letzter Minute, Proben die um bis zu 3 Stunden überzogen wurden, Programmänderungen kurz vor dem Konzert... Natürlich kannst du einen Notfallplan haben wenn ein Stück gar nicht klappt. Aber das sollte die absolute Ausnahme sein.

6. Nicht alles auf einmal! Nimm dir nicht zu viel vor! Es ist besser ein schwieriges Stück zu proben als ein ganzes Programm. Arbeitet zuerst an den nötigen Basics: Intonation, Ausdauer, Höhe, Zusammenspiel, effizient zusammenspielen, Rhythmus, ungewohnte Taktarten und Tonarten... Ich hatte die Filmmusik von "The Rock" in einer B-Stufen Kapelle über 2 Jahre vorbereitet bis zu einer wirklich sehr gelungenen Aufführung.

7. Selbstreflexion: Wenn es nicht klappt ist es deine Schuld als Verantwortlicher! Sei nicht überheblich sondern menschlich, emphatisch, ehrlich und geh nicht mit dem Kopf durch die Wand. Der Grat zwischen Konsequenz und Sturheit ist schmal aber deutlich erkennbar.

Und zum Schluss? Feiern nicht vergessen! Dieser große Schritt gehört gebührend gefeiert. Und vergiss nicht die Schwächsten! Diese haben in der Regel die meiste Arbeit hinter sich.

In diesem Sinne - viel Erfolg beim Proben.

Dein Daniel